Learning Analytics Challenges – Fallstricke für Hochschulen

In den ersten beiden Beiträgen haben wir über die Methoden künstlicher Intelligenz und die Einsatz-Strategie von Learning Analytics in Hochschulen berichtet. Doch bei allen Chancen der neuen Technologie: Auch hier gibt es Fallstricke. Welche Learning Analytics Challenges kommen auf Hochschulen zu, die den Lernerfolg ihrer Studierenden nachhaltig steigern wollen?

19. August 2019, Manuel Nitzsche, Instructure

In den ersten beiden Beiträgen haben wir über die Methoden künstlicher Intelligenz und die Einsatz-Strategie von Learning Analytics in Hochschulen berichtet. Doch bei allen Chancen der neuen Technologie: Auch hier gibt es Fallstricke. Welche Learning Analytics Challenges kommen auf Hochschulen zu, die den Lernerfolg ihrer Studierenden nachhaltig steigern wollen?

Technische Challenges: Datensilos und Ressourcen

Im technischen Bereich liegen die Challenges vor allem im Bereich der Datenquellen und der notwendigen Ressourcen für die Analysen. Learning Analytics-Dateien weisen zwar nicht die klassischen vier V von Big Data auf (Gartners Volume, Velocity, Variety sowie niedrige Veracity) – aber trotzdem sind die Ergebnisse der Diagnose und Vorhersage bei grösseren und vielfältigeren Datensätzen präziser. Das funktioniert am besten, wenn Learning Management System (LMS), Studierendeninformationssystem (SIS) und externe Quellen zusammengeführt werden können. Ein umfassendes LMS ohne Datensilos oder Insellösungen ist hier der erfolgversprechende Ansatz. Doch auch der beste Datensatz hilft nichts, wenn Ressourcen und Fähigkeiten zur Datenanalyse fehlen. Die Cloud bietet Rechenpower und Speicherplatz, und eine offene Architektur des LMS sowie eine grosse Nutzer-Community bieten Zugang zu Lösungen und Kompetenzen. Zusammengefasst: Die technischen Learning Analytics Challenges lassen sich am besten gemeinsam lösen.

Eine für mich offene – und vielleicht schon philosophische – Frage: Was können uns die für Learning Analytics genutzten Daten eigentlich sagen? Klar, das LMS kann durch Tracking die Interaktionen der Lernenden miteinander, den Lehrenden und den Lernmaterialien nachverfolgen, durch das SIS können beispielsweise biographische Daten hinzugefügt werden. Aber was ist mit Daten, die nicht digital entstehen – sind das vielleicht nicht sogar die wertvollsten? Was ist mit einer Diskussion im Seminar und Interaktion in der Sprechstunde? Das Bild, das wir aus den digitalen Spuren eines Lernenden gewinnen bleibt immer auf bestimmte Bereiche beschränkt.

Rechtliche Challenges: Datenschutz und Freiheit

Datenschutz und EU-DSGVO sind in aller Munde – und natürlich muss jede Learning Analytics-Strategie die Datenschutzbestimmungen berücksichtigen. Beispielsweise muss die Datenspeicherung auch in der Cloud rechtskonform sein. Doch was in der technischen Umsetzung einfach aussieht, ist im Detail viel komplexer. Das Recht auf eine informationelle Selbstbestimmung gibt Lernenden die Hoheit über die eigenen Daten. Doch wem gehören die Daten, die während des Learning Analytics entstehen? Studierende, Hochschulen und Anbieter von Lernmaterialien "produzieren" die Erkenntnisse gemeinsam. Wer darf also wann und wie lange darauf zugreifen, was passiert beispielsweise nach dem Studienabschluss mit den Daten? Auch Lehrende sind betroffen. Learning Analytics kann helfen, bei Lehrveranstaltungen bestimmte inhaltliche oder formale Faktoren aufzuzeigen, die den Lernerfolg der Studierenden einschränken. Aber Inhalte und Methoden der Lehrveranstaltungen werden von den Lehrenden selbständig festgelegt – die Freiheit der Lehre steht sogar explizit im Grundgesetz. Auch wenn die datenbasierten Erkenntnisse eine guten Basis für eine Diskussion liefern: Im Endeffekt muss die Hochschule auf die freiwillige Kooperation der Lehrenden bauen.

Ethische Challenges: Vorurteile und Manipulation

Häufig hört man als Argument für Analytics, dass Algorithmen weniger Vorurteile haben als menschliche Entscheider – angeblich treffen sie Entscheidungen nur auf Basis objektiv überprüfbarer Fakten. Aktuelle Untersuchungen zeigen jedoch: Algorithmen übernehmen die Vorurteile ihrer menschlichen Vorbilder. Bei einem exotischen Vornamen gehen Versicherungsprämien rauf, und vielleicht werden auch Studierende mit der falschen Wohnadresse bei der Zulassung zu bestimmten Studiengängen benachteiligt – oder weil sie das falsche Geschlecht haben.

Eine weitere Learning Analytics Challenge entsteht, wenn Erkenntnisse zu konkreten Handlungen führen. Hat ein Lernender bis jetzt nicht mit den Lernmaterialien interagiert? Schon kommt die Erinnerung als Push-Nachricht aufs Handy. Dieses Nudging hin zu besseren Entscheidungen ist in der Medizin und im Umweltschutz weit verbreitet. Doch wie die aktuelle Diskussion um die Widerspruchslösung bei Organspenden zeigt: Das "Anstupsen" ist ethisch bedenklich, weil es mit der Autonomie des Menschen im Widerspruch steht. Umgekehrt gilt aber auch: Haben Hochschulen nicht die Verpflichtung, ihren Studierenden die besten Lernerfolge zu ermöglichen?

Strategische Challenges: Alle Beteiligten mitnehmen

Learning Analytics ist, wie jeder Teil der Hochschul-Digitalisierung, eine strategische Aufgabe für die Hochschulleitung, bei der Führung und Kultur eine zentrale Rolle spielen. Im ersten Schritt steht die Entwicklung von Data Literacy im Fokus: Alle Beteiligten müssen verstehen, welche Daten erhoben werden und was mit ihnen passiert. Im zweiten Schritt müssen Prozesse entwickelt werden, welche die Sorgen der verschiedenen Gruppen berücksichtigen: Studierende haben vielleicht Sorge, dass ihnen jedes schlechte Zwischenergebnis und jede verpatzte Prüfung ewig nachhängen – so wie peinliche Selfies von der letzten Party nie wieder aus dem Netz verschwinden. Hier helfen das Aufzeigen der Vorteile durch Learning Analytics, Transparenz und ein klares Bekenntnis zum Datenschutz nach EU-DSGVO: Speicherung nur bei jederzeit widerrufbarem Opt-In. Lehrende fürchten beispielsweise, sich selbst überflüssig zu machen und in ihren Freiheiten eingeschränkt zu werden. Doch ganz im Gegenteil kann Learning Analytics Freiräume schaffen und helfen, sich auf effektive Massnahmen zu konzentrieren. Rechenzentrum, Verwaltung und Programmadministratoren müssen schliesslich für den Umgang mit Daten sensibilisiert werden. Kurzum: Ohne angemessene interne Prozesse, Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten und eine klare Verankerung in der Kultur der Hochschule sind datenbasierte Entscheidungsmodelle nicht umsetzbar.

Welche Herausforderungen bringt Learning Analytics aus Ihrer Sicht mit sich? Treten Sie mit uns in Kontakt, denn wir von Canvas suchen den Dialog. Sie können mich auch gerne direkt kontaktieren. Meine Kontaktdaten finden Sie auf LinkedIn.

Es lebe das Lernen!

Ihr Manuel Nitzsche
Regional Director, DACH